Als erster einer geflüchteten Familie aus Schlesien in Frankfurt geboren – Eine Nachkriegskindheit in der Innenstadt.
31.10.2025Meine Kindheit in Frankfurt
Meine Eltern und mein Bruder stammen aus Breslau in Schlesien.
Sie sind nach der Flucht im Jahr 1945 über Prag, Weißenstadt und Bamberg in Frankfurt /Main sesshaft geworden.
Für mich begann das Leben im Januar 1949 im Bürgerhospital in Frankfurt. Wir wohnten im Nordend in der Nähe des Scheffelecks im Dachgeschoss eines vierstöckigen Wohnhauses. Es wurde mit einem Ofen geheizt und die Kohlen mussten von meinen Eltern aus dem Keller nach oben getragen werden.
In der Straße gab es viele Trümmergrundstücke auf denen wir Kinder herumturnten und spielten. Es war nicht ganz ungefährlich dort zu spielen.
Mit meinem Dreirad konnte ich die umliegenden Straßen erkunden und ich war sehr stolz, es zu besitzen. Umso schmerzlicher war es für mich, als es eines Tages gestohlen wurde. Meine Eltern hatten es abends nicht in den Kohlekeller hinuntergetragen.
Das ist mein erstes mir bewusste Kindheitserlebnis.
Erinnerungen
Seit 1955 bis 1962 wohnten meine Eltern, mein Bruder und ich in der Innenstadt nördlich der Altstadt in der Hasengasse, Ecke Berliner Straße. Über die Straße an der Kleinmarkthalle gelangten die Autos in einen großen Hinterhof mit Garagen. Neben den Garagen war ein Schild angebracht:
Spielen und Rollschuhlaufen verboten!
Wir Kinder spielten dort dennoch Versteck, Fangen und mit dem Ball. Auch mit dem Holzroller und später auch mit dem Tretroller fuhren wir dort unsere Runden. Als wir Kinder größer waren, ging es beim Fußballspielen heftig zu und der Ball krachte oft gegen die Häuserwand und die Garagentore. Ein Polizeimeister, dessen Wohnungsfenster direkt auf den Hof zeigte, versuchte uns dabei zu verjagen. Wir kickten trotzdem weiter.
Eine ältere Bewohnerin ärgerten wir mit unseren Rollschuhen, indem wir mit ihnen über die Abdeckgitter der Kellerlichtschächte fuhren. Die Rollschuhe hatten Rollen aus Eisen. Unsere Schuhe wurden mit einem Schlüssel an einer seitlichen Vorrichtung der Rollschuhe festgepresst. Da gab es beim Überfahren der Gitter einen höllischen Krach und die alte Frau schimpfte lauthals. Wir nannten sie „Aal Kretsch“!
Eines Tages hatte ich dabei auch Pech gehabt, fiel dabei hin und in meinem Knie zeichneten sich die Muster des Kellergitters ab. Blutüberströmt lief ich zur nahen Apotheke meines Vaters in der Berliner Straße und die Wunde wurde fachmännisch versorgt.
So spielten wir viele Jahre trotz Verbot in diesem Hof und verärgerten die Anwohner, aber wo sollten wir denn sonst spielen? Es gab keinen Spielplatz nur große Straßen und Baustellen, wie z.B. der Bau der Kleinmarkthalle und der Frankfurter Stadtsparkasse in der Hasengasse.
Hinter den heutigen Stadtwerken an der Konrad Adenauer Allee- heutiger Neuer Börneplatz befand sich damals neben den Trümmern ein großes Gelände mit festem Sandboden. Hier kickten wir dann als 11- bis 14-jährige mit mehreren Kindern und Klassenkameraden. Dabei flog der Fußball oft über eine angrenzende hohe Mauer des jüdischen Friedhofs. Mit Räuberleiter kletterte einer von uns über die Mauer, um den Ball zu holen. Zum Glück hat uns niemals jemand dabei erwischt.
Erinnerungen 2.Teil
Im Jahr 1955 wurde in Frankfurt eine neue Straße, die Berliner Straße als sogenannte Ost-West-Achse eröffnet. Sie befindet sich heute noch nördlich der Altstadt. Hier wohnten wir direkt an der Kreuzung zur Hasengasse.
Als Kind zählte ich am Fenster die Autos, die an der Kreuzung anhalten mussten. Damals fuhren noch nicht viele Autos. Es war die Zeit der heutigen Oldtimer. Leukoplastbomber nannten wir den Lloyd Alexander. Der Messerschmidt Kabinenroller mit aufklappbaren Einstiegsdach und die BMW Isetta mit Fronteinstiegstür waren der Hit.
Ach, ein Telefon hatten wir damals noch nicht und die Großeltern auch nicht. Sie wohnten in der Fahrgasse im NEFF – Hochhaus und hatten direkt Blickkontakt zu unserem Wohnzimmerfenster. Wie kommunizierten wir? Ohne Telefon musste eine Lösung her. Bei gesundheitlichen Nöten klemmten meine Großeltern ein weißes Handtuch oder Laken von außen an den Fensterrahmen und meine Eltern wussten sofort, dass Hilfe nötig war. Quer über die Berliner Straße, vorbei an der ESSO Großtankstelle – heute Museum für Moderne Kunst – war es nur ein kurzer Weg zu ihnen.
Olympische Spiele 1960 in Rom mit der Goldmedaille von Armin Hary über 100m konnten wir zu Hause mangels Fernseher noch nicht gucken. In der Braubachstraße gab es aber ein Kiosk mit Fernseher, der in Blickweite zur Straßenverkaufstheke stand. Die Menschen drängten sich davor und ich konnte so den Siegeslauf und andere Wettbewerbe verfolgen.
Um Fußballspiele der deutschen Nationalmannschaft zu sehen, ging unser Vater mit uns Kindern entweder in die Kneipe „Zum Storchen“ neben dem Dom, in das REX-Kino in der Kaiserstraße oder ins AKI-Kino im Hauptbahnhof. Das war immer ein tolles Erlebnis mit den vielen Zuschauern und deren Kommentaren.
Im AKI-Kino konnten die wartenden Zuggäste die Wartezeit verbringen und die volkstönende Wochenschau – aktuelles aus dem Weltgeschehen – wurde dort neben Kurzfilmen mehrfach täglich gezeigt.
Die Frankfurter „Dippemess“, heute am Riederwald, befand sich zwischen Dom und Römer auf einem großen Brachgelände. Da sehr stadtnah, war dort sehr viel los, und wir Kinder konnten manchen Nachmittag nach der Schule unsere Zeit, manchmal auch heimlich vor den Eltern, dort verbringen. Wir streiften dort herum und erfreuten uns an den vielen Schaubuden und Attraktionen und das kleine Taschengeld war schnell ausgegeben.
In Erinnerung bleibt ein weiterer Höhepunkt, die Hochseilakrobatik mit einem Motorrad zwischen Dom und Römer. Die Zuschauer hielten den Atem an, aber es war alles zum Glück gut gegangen. In der Neuen Kräme befand sich das Café Wipra – das Café der Tierfreunde. Zwischen kleinen Tier- und Vogelkäfigen und einem sehr großen Seeaquarium befanden sich runde kleine Tische mit gepolsterten Stühlen. Meine Großmutter und Mutter saßen dort öfters mit mir in der Nähe des Pinselohräffchens oder der Papageien. Ich war sehr glücklich dabei und eine Portion Eis oder ein Sahnebaiser steigerten meine Stimmung. Im Café Kranzler an der Hauptwache gab es nachmittags noch Caféhaus-Livemusik und es hielten sich dort viele Gäste auf. Die Besucher waren alle sehr fein gekleidet und ich durfte ein oder zweimal die Stimmung miterleben.
Diese Vergangenheit steht in starkem Kontrast zu der heutigen hektischen Atmosphäre in der internationalen Bankenstadt Frankfurt.
W. Kleinert