Frankfurt schreibt seine GeschichtenBETA

Frankfurt, eine Liebe zwischen Freiburg und Norddeutschland.

22.10.2025

Eine Liebesgeschichte

Warum ich nach Frankfurt gekommen bin?
Genau genommen gab es fĂŒr mich keinen bestimmten Grund, Frankfurt als Zentrum fĂŒr mein Leben zu wĂ€hlen. Eigentlich war es reiner Zufall. Aber den gibt’s ja bekanntlich gar nicht.
Es fing einfach an. Ich weiß noch als ich 1988 heulend in einem Zug von Freiburg auf dem Weg zurĂŒck in meine bisherige Heimat – dieser kleinen Großstadt mit UniversitĂ€t in Norddeutschland– saß. Zu Tode gekrĂ€nkt!
Es war ein heißer August Tag, die nackten Beine blieben an den roten Kunstledersitzen kleben und ich war voller Traurigkeit. Wir hatten uns getrennt. Dieser selbstverliebte Studi und ich.
Der deutsche Sommer zog am Schiebefenster des Abteils vorbei, mir standen die TrĂ€nen in den Augen und ich rauchte dem Fahrtwind entgegen. Dieser Zigarettengeruch in den ZĂŒgen von damals war charakteristisch. Kalter Rauch. Das kam daher, dass alle es taten. Es galt als ein Statement setzend, Zigaretten zu rauchen. Die stĂ€rkste Aussage waren Selbstgedrehte aus Tabak in blauen Packungen mit einem Löwenkopf. Auf meiner Zugreise vom SĂŒden ins Nördliche war es gefĂŒhlt die 20. Kippe. Die Hitze, der Geruch. Dennoch fĂŒhlte ich mich trotz der Trauer seltsam erleichtert. Eine TĂŒr war zugefallen und eine neue musste aufgehen. Was hatte ich denn zu verlieren? Meine Wohnung in der alten Heimat war wieder vermietet, meine Habseligkeiten bei einem Freund in der Mansarde. War ohnehin nicht viel. Mein neues Leben sollte mit der hier nicht nĂ€her zu erwĂ€hnenden Person im sĂŒdlichen Baden sein. Nun war also alles geplatzt. RĂŒckblickend war es natĂŒrlich eine studentische Seifenblase. Mit 22 Jahren sollte man sich nicht binden, egal mit wem.
Und genau genommen war lediglich meine Eitelkeit verletzt. Dieser Umstand nun – wenngleich unbewusst – sollte der Antrieb sein, etwas ganz anderes zu versuchen.
Etwas richtig Großes, mit Abenteuer.

Der Zug ruckelte also weiter durch Deutschland, Karlsruhe, Mannheim, Frankfurt

Frankfurt am Main? Da war ich doch schon einmal vor ein paar Jahren, die Stadt, die die Kriminalstatistik anfĂŒhrt, wo das Geld regiert, HĂ€user besetzt werden, Startbahn-West, Demos
das klang nach Weltoffenheit. So ein bisschen wie New York.
Der Zug stoppte, denn die Lok musste umgehÀngt werden. Damals war alles gemÀchlicher und es gab mehr Zeit zum Nachdenken.
Wenn ich mich traute, tief in mich hineinzuspĂŒren, dann war die Antwort klar: das mit dem Typen wollte ich alles doch gar nicht.
Das war das, was sich die Eltern sich so wĂŒnschten. Und ich? AbgefĂŒllt von KleinbĂŒrgerlichkeit, in Rollenmuster gezwĂ€ngt, passte mich an.
Bis zu dem Zeitpunkt, als ich heulend im Zug, schwitzend festgeklebt an einen dunkelroten Sitz aus Kunstleder saß.
Nur am Wasser kratzen und zuschauen, wie andere hineinspringen? Schwimmen, vielleicht untergehen, aber wieder auftauchen. Dazu fehlte mir schlicht der Mut.
Dennoch, ich hatte wirklich nichts zu verlieren, also: „Ich werde nach Frankfurt am Main ziehen.“ Ohne Job, ohne Wohnung, mit – wie soll ich das nennen? – grenzenloser Zuversicht und einer bis dahin ungekannten StĂ€rke.
Freiheit.
Nach ein paar Tagen im Norden daheim, packte ich erneut meine Sachen und machte mich auf den Weg zurĂŒck nach Mainhattan.

Auszug aus dem Tagebuch
Frankfurt, 18.08.1988
Seit fĂŒnf Minuten bin ich nun in Frankfurt. Die Fahrt hierher hab ich billig mit der Mitfahrzentrale hinter mich gebracht. Der Typ war zwar Jurist, aber ganz ok. Jetzt warte ich auf den Bus nach Sachsenhausen in die Jugendherberge. Hoffentlich muss ich dort nicht so lange wohnen und finde schnell ein Zimmer in einer WG. Ich bin fest entschlossen, hier zu bleiben, zu arbeiten und zu studieren.

Zu diesem Zeitpunkt saß ich nachmittags in der August-Hitze, meine schwarze Reisetasche unter dem Po, auf dem trockenem Grasboden am Baseler Platz im Bahnhofsviertel. Egal. Um mich herum jedenfalls war es fast so wie heute. Bunte Menschen, Leute, die HĂ€user besetzten, Touristen, kaputte Existenzen, alle Hautfarben und eben auch Dreck und Armut. Viel Verkehr, laut und der Geruch nach Benzin, Alkohol und Rauch. Dennoch, Toleranz lag in der Luft.
Alles wovor mich meine Eltern gewarnt hatten.
FĂŒr mich war das vor 37 Jahren das pralle Leben. Ein Abbruch einiger BrĂŒcken, ein Aufbruch, ein Lebensabenteuer. Reise mit leichtem GepĂ€ck. Mein Credo bis heute.

Tagebuch SpÀter am Ende des Tages

die letzte Zigarette und dann ins Bett. Ich bin in einem Zimmer der Jugendherberge am Deutschherrenufer und teile mir den Raum mit fĂŒnf anderen Frauen unterschiedlicher NationalitĂ€t. Ecuador, Kolumbien, Afrika. Wir sprechen nicht die gleiche Sprache, aber wir verstehen uns trotzdem, rauchen zusammen, lachen und waschen unsere verschwitzte UnterwĂ€sche in der Dusche.
Es ist mein Sommer, die Welt steht bereit und ich darf ein Teil davon sein.

Frankfurt, 19.08.1988
Der erste Schritt ins neue Leben ist getan: Es hat funktioniert. Ein WG-Zimmer fĂŒr 500,- DM. Ich denke, es hat sich gelohnt. So schnell ein Dach ĂŒber dem Kopf. Juhu. Morgen ziehe ich ein. Speicherstraße im Gutleutviertel. Das soll wohl alles so sein.

Nur mal nebenbei: Da wo heute teure Wohnungen in imposanten HÀusern und privaten Bootsanleger am Main zu finden sind, standen zu der Zeit Holzbaracken mit mehr oder weniger seltsamen Inhalten. Es waren LagerrÀume am Westhafen mit Teppichen, Möbeln und anderen Dingen. Hat man nicht hinterfragt.

Tagebuch: Frankfurt, 20.08.1988
Geschafft, der Arbeitsvertrag ist unterschrieben. Es ist 11:00 Uhr. Ich sitze auf dem Römerberg und schaue dem Paar zu, das sich gerade ver-heiratet hat. Sooo romantisch in dieser hĂŒbschen Kulisse.
Und fĂŒr mich? Wohnung ok, Job ok.!
Aber Freunde hab‘ ich noch nicht. Nicht so schnell junge Dame, du fĂ€ngst gerade erst an. Ich werde fĂŒr eine Zeitarbeitsfirma tĂ€tig sein. Das ist so ganz nach meinem Geschmack. Immer fĂŒr andere Branchen, immer wieder neu. Und wenn ich die drei Jahre Berufserfahrung habe, kann ich Bafög beantragen und Marketing studieren, denn KreativitĂ€t ist ein Muss.

Tagebuch: SpÀter am Ende des Tages
Heute Nacht schlafe ich das erste Mal in der neuen Wohnung. Meine derzeitige Mitbewohnerin erzÀhlte noch schnell, bevor sie auf Reisen ging, dass die Vormieter einem Mafia-Clan angehörten und dass es einen versteckten Safe in dem Altbau gÀbe. Allein die Vorstellung, dass hier mal menschliches Blut an den WÀnden klebte.
Hihi, schöne Story fĂŒr die Altvorderen im Norden beim nĂ€chsten Besuch.
Aber ich will nichts verdrĂ€ngen, die erste Nacht allein in einer großen Wohnung einer gĂ€nzlich fremden Stadt ist zwar nicht sehr unangenehm, aber auch nicht so super. Es regnet, die Unfallwagen fahren ununterbro-chen, so scheint es, die Flieger machen einen unglaublichen LĂ€rm, Autos, Laster, totales, metallenes Leben, das Licht der AEG gegenĂŒber auf der anderen Mainseite. Die Gegend hier ist wirklich nicht besonders erbaulich.
Wo finde ich eine schöne Wohnung? Wie stelle ich das an? Reicht das Geld? Wie sind die neuen Leute im Job?

Ich bin ein GlĂŒckskind. Wohnung, Job, Stories, alles da. Immer wieder anders nach all der Zeit.
Jedoch bei den Besuchen am Tische meiner Eltern, war mir fast jedes Mittel in meinen ErzĂ€hlungen recht, um die „Weltstadt des Verbrechens“ auszuschmĂŒcken. Aber manchmal unterstĂŒtzt das Stilmittel der Übertreibung das Verstehen. Warum auch immer ich das tat, vielleicht war es der Wunsch nach BestĂ€tigung unbesiegbar zu sein.
Aus Trotz? Wegen der stinkigen Zugfahrt?

Ach Frankfurt, ich tu‘ dir Unrecht. Du eröffnetest mir Horizonte, du lehrst Demut, du gabst mir Wissen. Du schenktest Liebe. In jeder Phase meines Seins begleiteten mich Menschen. Manche sind geblieben, andere verschwanden. Frankfurt gibt viel und verlangt dafĂŒr auch einiges. Vielleicht die Unschuld? Der Vergleich mit New York, The city that never sleeps, hinkt. Du schlĂ€fst doch, Frankfurt, du kannst so piefig sein und verpennt. Nach 1- 2 Bembeln auf jeden Fall.
Noch eine Anekdote aus dem Tagebuch:

Frankfurt, 23.09.1988
Das mit dem Apfelwein, es war ein Fehler. Nicht meiner allein, denn spĂ€ter habe ich von meinen Kollegen gehört, dass viele oder fast alle Menschen die neu nach Frankfurt kommen, das Stöffsche „pur“ trinken. In meinem Fall die Mittagssonne im September in Alt-Sachsenhausen. VerzĂŒckt von der Historie drumherum. Das Aufstehen nach drei puren Gerippten. Oh, du meine GĂŒte und erst der Morgen danach. Nein, Leute, mir ging es ĂŒberhaupt nicht gut.

Und doch habe ich mich gewöhnt. An Frankfurter BĂ€der (also diese Wannen im Schrank), grĂŒne Sauce, den Dialekt, hier und da ein Promi auf der Berger Straße, Volksbildungsheim, Waldstadion, Zeil, Hauptwache, Demos, Gras, Lieder im Park, Flughafen, Johann-Wolfgangs OmniprĂ€senz.
Es lebe der weltoffene Spirit dieser Stadt. Ca. 175 Nationen, das ist schon ein Pfund.
Deshalb: Die Welt ist mein Zuhause und Frankfurt mein Wohnzimmer.
Danke!

Kirsten Mantel