K. G. schreibt, wie sie auf Umwegen über Kanada und Thüringen zur Frankfurterin wurde.
20.10.2025Meine Liebe zu meiner Lieblingslebensstadt Frankfurt am Main
Geboren in der wunderschönen Stadt Bamberg. Aufgewachsen in Bamberg, dann Frankfurt, dann Montreal, bei den Eltern, später in Thüringen bei den Großeltern.
Neues Leben in fremder Welt in Kanada, in Montreal.
Ich wurde eingeschult in die erste Klasse, fremd aussehend, mit blonden Haaren und blauen Augen, mit fremder Sprache, kein Wort Englisch sprechend oder verstehend.
Das erste Mal mit so vielen Kindern in einem Raum in einer Schule mit einer Lehrerin, die mich zu einem Platz führte, … ich war voller Angst, lernte als frühe englische Wörter den Befehl: „Heads Down“, wenn die Lehrerin etwas an die Tafel schrieb.
Sehr schnell lernte ich Englisch in Schrift und Wort …
Rechts an einer Wandtafel wurde eine Ranking Liste für gute Leistungen geführt. Neben den Namen der Kinder (der besten) wurden Sternchen mit Kreide aufgemalt. Mein Name stand weit oben … Ich knüpfte vorsichtig erste Kontakte.
Dann beschlossen meine Eltern nach kurzer Zeit (ca. ein Jahr) mein nächstes Leben:
Rückkehr nach Deutschland, kurzzeitig (Monate?).
Leben in einem Mansardenzimmer in der 5. Etage zu dritt in Offenbach, einem Haus meiner Tante.
Mein nächstes Leben:
Fahrt mit meiner Mutter zu meinen Großeltern nach Thüringen, die ich nicht kannte. Wurde dort für kurze Zeit abgegeben und dort gelassen wieder in eine erste Klasse in einer Dorfschule eingeschult, weil ich zwar schon „Lesen und Schreiben“ konnte aber nicht in deutscher Sprache! Meine Eltern lebten und blieben in Frankfurt am Main!
Bei den Großeltern besuchte ich die Dorfschule, die 4 Klassen hatte, eine 1., 2., 3. und 4. Mit den anderen Kindern aus meiner Klasse lernte ich zu spielen, deutsch Lesen und Schreiben.
Wir spielten zusammen, genossen unsere Freiheiten. Dennoch gehörte ich nie richtig dazu. Ich war keine Hiesige, hatte keine Eltern, „nur Großeltern“. Damals nahm ich erneut ein „Anderssein“ wahr. Meine Eltern, die mir vollkommen fremd waren, sah ich pro Jahr ein- maximal zweimal, wenn sie oder Oma und ich zu Besuch kamen. Wobei meine Eltern dann meinten, dass ich voller Freude die gesamte Zeit (zum Beispiel in den Sommerferien) mit ihnen verbringen und ihren Erziehungsvorstellungen entsprechen wollte/sollte. Dem war nicht so.
Mein nächstes Leben:
Abrupt und für mich unbegreifbar endete mein Leben im Dorf, der Schule, mit der Großmutter, mit dem gewohnten Dasein, als meine Mutter mich holte und für immer mit nach Frankfurt nahm. Noch immer sehe ich meine Klasse aus dem Fenster eines großen Fachwerkhauses, der Schule, unserem Klassenzimmer, winkend, rufend mich verabschiedend …
Ich schob mein Fahrrad, vom Großvater bezahlt, vom Großvater gepflegt und betreut, das ich mit nach Frankfurt nehmen durfte. Mein dortiges Leben war unwiderruflich beendet.
Der Zug „vollst“ besetzt kam in Frankfurt an. Mein Vater holte uns am Hauptbahnhof ab. Ich wusste, dass ich mich freuen musste …
Mein Vater, mir genauso fremd wie meine Mutter, empfing mich zuerst, umarmte mich (vermutlich), um festzustellen, dass mein Mantel, kräftiges Dunkelblau mit silberfarbenem Pelzkragen, ja viel zu klein sei … Ich liebte diesen Mantel.
Mir war nie aufgefallen, dass er mir zu klein geworden war. Das war nämlich der „gute“ Mantel, den man nicht täglich trug.
Wir fuhren also zuerst zu „Ott und Heinemann“, der noch geöffnet hatte … Ich sollte mir einen Mantel aussuchen … Eigentlich wollte ich keinen anderen … denn, ich hatte mir auch sonst keine Kleidung ausgesucht. Die wurde immer im Paket geschickt … (wahrscheinlich hat meine Großmutter immer mal einen Brief geschickt, wenn mir meine Sachen zu klein geworden waren) …
Am Ende bekam ich einen braun weiß gemusterten (Pepita oder Hahnentritt) Mantel mit dunkelbraunem Samtkragen. Der gefiel mir nicht …
Dann fuhren wir „nach Hause“ ... Meine Eltern besaßen ein Auto!!! (einen VW mit kleinem, ovalem Fenster). Wir fuhren durch Straßen mit glitzernden Lichterhäusern, Ampeln, Straßenlaternen, beleuchteten Schaufenstern. Das gefiel mir. Ich nahm alle Eindrücke wahr.
Irgendwann hörte das Auto auf zu fahren und parkte vor einem großen Haus mit hohen Fenstern, von denen es in der Straße viele gab ...
Die Haustür wurde aufgeschlossen, das Treppenhauslicht ging an und wir stiegen in den 5. Stock hinauf, jede Treppe mit 21 Stufen, an großen Türen mit Fenstern vorbei, bis wir ganz oben ankamen. An einer Tür, die mich an die Tür einer „Rumpelkammer“ erinnerte … 3 Zimmer, eins für mich, mit Küche, Schlafzimmer, Wohnzimmer, mit winzig kleinen Fenstern … Die Zimmer waren zur Wand hin ganz niedrig …
Wenn man aus dem Fenster schauen wollte, kniete man sich hin. Das war mein künftiges Zuhause.
Mein nächstes Leben in der Stadt begann. Ohne Kontakte, mit fremden Menschen, die meine Eltern waren, ohne Orientierung. Mir war alles genommen.
Ich schlief auf einer breiten Couch, die man zum Bett auszog und deren Seiten man abklappte. Mein neues Leben begann tatsächlich als 0-Neustart in der großen Stadt.
In den folgenden Wochen wurde ich durch Institutionen, durch Prüfungen, wohlwollende Personen zur Feststellung der Gymnasiumsreife mit einer Empfehlung dorthin, beschäftigt.
Auch diese Phase war von Angst begleitet, erfüllt, der Leistungsdruck, dem ich ausgesetzt wurde, schien selbstverständlich.
Mir fehlte alles, die Großmutter, mein Zuhause, die Klasse, die Kinder, meine Freundinnen, der Garten, das Dorf, die Freiheit.
Frankfurt machte mir nur Angst.
Nächstes Leben: Die neue Schule … alles riesig groß, das Treppenhaus, große Türen, große Klassenräume, viele Kinder, viele Lehrer, große Flure … und ich allein.
Jeden Schritt musste ich mit mir gehen, alles erkunden, alles erfahren. Und wieder zu spät in die Klasse gekommen, die sozialen Gruppen waren schon gebildet. Wieder ein Außenseiter in einer Klasse mit (46?) Schülern … wieder Leistungsdruck, Leistungsverlangen, allen genügen müssen. Da mir das Englisch in den Jahren abhandengekommen war und ich stattdessen „Russisch“ gelernt hatte, begann ich in einer Klasse, in der Englisch als Fach neu war. Wieder zurückgestuft …
Schnellst lernte ich allein mit der Straßenbahn (wie heute die Äppel-Bahn) mit Umsteigen zur Schule zu fahren. Der Schülerausweis ermöglichte mir, die Stadt durch Selbstständiges „Erfahren“, im doppelten Sinne, zu erkunden und meinen Lebensradius zu erweitern.
Mir gefiel das Fremde, Große, Umtriebige. Jahr um Jahr gewöhnte ich mich mehr an das Vielfältige, die vielen Menschen, die ich nicht kannte, denen ich nicht, wie früher, „guten Tag“ sagen musste … und begann die Stadt zu mögen, mich zurecht zu finden und die letztliche „Isolation“, das Außenseitersein, die ich empfand, als für mich gegeben, anzunehmen.
Auch meine Schule, die großen Klassen, die aus vielen Richtungen kommenden Schüler/innen, vielfältigen Anforderungen, zwangserlernte ich positiv zu beurteilen. Die Oberstufenschüler/innen durften, als Zeichen des Erwachsenwerdens, auf dem „kleinen“ Schulhof rauchen … Also, um dazuzugehören, musste man rauchen.
Das anschließende Studium, auch „hier“, lehrte mich noch selbstständiger und selbstbewusster zu werden.
Entgegen den elterlichen Anweisungen und Vorgaben, wie ich mich zu verhalten habe …, ging ich mit meinem Freund im nächtlichen Bahnhofsviertel, an der Allerheiligenstraße etc. mutig die einschlägigen Straßen entlang, immer aufmerksam beobachtend, wie sich Frauen und Männer anbietend verhalten, immer aber Hand in Hand, weil wir beide (vermutlich) Angst vor dem Unbekannten hatten.
Als wir ein wenig Geld gespart hatten, suchten wir mutig einen Nachtclub auf. So ein wenig mit Mut behafteter Angst bestellten wir eine Flasche Sekt!
Schon war unser Etat erschöpft, die Vorführungen der gelenkigen Damen waren weniger aufregend als wir dachten … Immer mal wieder im Rotlichtviertel schauend unterwegs, wurde uns der Bereich schnell langweilig.
Das Nachtleben in Mackie Messer, der Tangente, dem Jazzclub … zeigte ein spannenderes Leben … und unendliche Möglichkeiten, die Facetten der Stadt zu erleben, überall hingehen zu können … Dann die Kultur, die Musik, die Oper, die Konzerte, klassisch, Rock, die Theater, der Main mit seinen Ufern und Brücken. Nicht zuletzt das Reisen, anfangs mit dem Zug, dann sehr schnell mit dem Flugzeug in die weite Welt. Oder auch die Nähe zum Stadtwald, dem Taunus, dem Rheingau. Wunderbar auch die Möglichkeit, sich morgens in den Zug oder auch in ein Flugzeug, zum Beispiel nach Paris, London, Amsterdam setzen (zu sehr moderaten Preisen) zu können, besondere Ereignisse zu besuchen/zu erleben und am späteren Abend wieder im eigenen Bett schlafen zu können. Und immer auch die Weltläufigkeit in der relativ überschaubaren Innenstadt, mit den attraktiven Hochhäusern, dem Main, der in lauen Sommernächten zum Sitzen am Ufer, mit Blick auf die erleuchtete, glänzende Stadt, den Eisernen Steg und das glitzernde Wasser des Maines mit den gemächlich vorbeiziehenden Schiffen, einlädt.
Wenn es möglich bleibt, werde ich „mein“ Frankfurt mit meinen Erlebnissen, meinen mich prägenden Erinnerungen, meinen Lebensmöglichkeiten nicht verlassen. Diese Stadt lockt mich immer wieder aktiv am Leben teilzunehmen und mein Dasein interessant zu gestalten.
K. G.